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Während wir diskutieren, schaffen andere Länder Fakten
Künstliche Intelligenz — Standort Deutschland
Nun sind sich endlich alle einig: Deutschland soll zu einem weltweit führenden Standort bei Künstlicher Intelligenz (KI) werden. Bis zum Herbst will die Große Koalition dafür einen „Masterplan Künstliche Intelligenz“ entwickeln. Und mehr Geld soll es auch geben. Laut Handelsblatt soll das Fördervolumen in den nächsten Jahren von derzeit rund 230 Millionen auf bis 1,8 Milliarden Euro aufgestockt werden. Das sind erfreuliche Nachrichten! Doch der Teufel steckt mal wieder im Detail. Anfang Juni berichtete das ZDF, es drohe „ein neuer Streit um die Ausrichtung der nationalen KI-Strategie“. Auch um den Standort des geplanten deutsch-französischen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz wird auf Länderebene bereits fleißig gerangelt. Das weckt ungute Assoziationen. Keinesfalls darf es der angekündigten KI-Offensive so ergehen, wie dem „DigitalPakt Schule“. Die im Oktober 2016 versprochenen fünf Milliarden Euro Bundesmittel für den Ausbau der technischen Infrastruktur sind bis heute nicht in den Ländern, geschweige denn in den Schulen, angekommen.
Deutschland diskutiert, andere Länder schaffen Tatsachen
Fakt ist, wenn es um Fortschritt geht, wartet die Welt nicht auf uns. Im Gegenteil! Während Deutschland noch diskutiert, schaffen andere Länder längst Tatsachen. Und so drohen wir beim Zukunftsthema Künstliche Intelligenz den Anschluss zu verlieren, obwohl wir eigentlich die besten Voraussetzungen haben, ganz vorne mitzuspielen: Deutschland ist in punkto Grundlagenforschung hervorragend aufgestellt. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) gehört zu den weltweit führenden Forschungseinrichtungen. Die deutsche Wirtschaft verfügt über eine starke industrielle Basis, die bereits seit Jahren die Möglichkeiten der Industrie 4.0 auslotet. Zudem ist laut einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung PWC der Anteil der Branchen, in denen starke Produktivitätssteigerungen durch KI möglich sind, in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Die Berater gehen davon aus, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt durch den Einsatz von KI bis 2030 um 430 Milliarden Euro steigen könnte. Dieses gewaltige Potential beruht dabei auf zwei Säulen: 40 Prozent steuern Effizienzgewinne durch KI-Technologien bei, 60 Prozent werden von innovativen Produkten und Services auf KI-Basis generiert.
Für mehr Vernetzung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft
Doch gerade diese zweite, wichtigere Säule ist bedroht, wenn es uns nicht gelingt, aus vorhandenem Know-how konkrete Produkte zu machen. Hier brauchen wir dringend eine Stärkung der anwendungsorientierten KI-Forschung und eine bessere Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft. Ganz entscheidend für den Standort Deutschland ist die Frage, wie in Zukunft auch kleine und mittelständische Unternehmen Zugang zu KI erhalten, damit es an dieser Stelle nicht zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Dafür sollte einerseits die Politik schnellstmöglich die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und beispielsweise zügig die geplante steuerliche Förderung von Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen umsetzen. Aber auch die Technologieanbieter sind in der Pflicht, ihre Entwicklungen allen frei zugänglich zu machen. Und Unternehmen sind gefragt, noch enger mit den schon bestehenden Forschungseinrichtungen zusammen zu arbeiten.
Für ein gesundes Startup-Ökosystem
Um mithilfe von KI die Potentiale innovativer Geschäftsmodelle zu realisieren, brauchen wir – neben führenden Industrieunternehmen und einem starken Mittelstand – auch ein vielfältiges und gesundes Startup-Ökosystem. Nach einer aktuellen Erhebung von Roland Berger haben die USA an dieser Stelle längst die Führung übernommen: Derzeit sind dort fast 40 Prozent aller KI-Startups ansässig. Zwar liege Europa mit insgesamt 22 Prozent an zweiter Stelle (und damit vor China und Israel), doch, so die Warnung der Studienautoren, erreiche im globalen Vergleich bisher kein europäisches Land die notwendige „kritische Masse“. So liegt Großbritannien bei der Zahl relevanter KI-Startups auf Platz vier, Frankreich auf Platz sieben und Deutschland nur auf Platz acht. Wir sollten dabei hierzulande aufpassen, dass die vielversprechenden KI-Gründer nicht ins Ausland abwandern und müssen sie gezielt technologisch und steuerlich fördern, damit ein gesundes Ökosystem mit starken lokalen Communities gedeiht.
Für die Stärkung menschlicher Intelligenz
Damit in Zukunft mehr Menschen in Deutschland zu innovativen Gründern werden, müssen wir nicht nur die künstliche, sondern auch die „menschliche Intelligenz“ weiter fördern. Zum Beispiel indem wir uns in der Schule stärker auf Kreativität und Kommunikation, soziale Interaktion und Problemlösungskompetenz statt auf die reine Wissensvermittlung konzentrieren. Dabei geht es nicht allein darum, Algorithmen zu schreiben, sondern auch um Abstraktionsfähigkeit und Teamarbeit. Doch in den kommenden Jahren steht uns noch eine weitere Herkules-Aufgabe bevor. Das System der beruflichen Ausbildung war über Jahrzehnte einer der Erfolgsfaktoren der deutschen Wirtschaft, aber jetzt brauchen wir dringend ein „Update“. Angesichts des enormen technologischen Tempos, droht eine ganze Arbeitnehmer-Generation abgehängt zu werden, selbst, wenn es jetzt endlich gelingt, digitale Bildung massiv in die Stundenpläne zu integrieren. Deshalb braucht es eine Re-Skilling-Initiative für Deutschland, die sowohl Berufseinsteigern als auch älteren Arbeitnehmern Kernkompetenzen für die digitale Arbeitswelt vermitteln soll. Gefragt ist ein Curriculum für die digitale berufliche Bildung. Neben technologischen Kompetenzen und innovativen Lerninhalten für den Umgang mit KI sollten die Stärkung kognitiver Fähigkeiten wie Zusammenarbeit, Problemlösungs- und Kreativitätstechniken trainiert werden. Um diese notwendige Initiative auf möglichst breite Füße zu stellen, braucht es Partner aus (IT)-Wirtschaft, Politik und dem Bildungsbereich. Das gemeinsame Ziel sollte es sein, dass möglichst viele Menschen ihre Stärken in den Arbeitsmarkt der Zukunft einbringen können.
Für eine breite gesellschaftliche Debatte
Parallel zu diesen drei Handlungsfeldern – Forschungstransfer, Gründerförderung und Qualifizierung – müssen wir aber auch die gesellschaftliche Debatte über ethische und rechtliche Fragen weiter vorantreiben. Dazu gehört beispielsweise die Diskussion darüber, in welchen Anwendungsbereichen wir den Einsatz von Künstlicher Intelligenz explizit ausschließen wollen. Oder darüber, wie wir die Entscheidungskriterien intelligenter Systeme transparent machen können, ohne dabei Geschäftsgeheimnisse offenzulegen. Oder auch die Frage, wie sich die gesellschaftlich wünschenswerten Ziele des Schutzes persönlicher Daten einerseits und der Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Trainingsdaten für die KI-Entwicklung andererseits sinnvoll in Einklang bringen lassen.
Um die Bundesregierung bei der Umsetzung ihres KI-Masterplans weiter zu unterstützen, braucht es die Einrichtung eines Experten-Beirats mit Entscheidungsträgern aus Industrie, Wissenschaft und Gesellschaft. Ihre Aufgabe: ethische und regulatorische Herausforderungen rund um das Thema KI diskutieren und Lösungsvorschläge entwickeln.
Lasst uns fragen, was wir mit intelligenten Maschinen machen können
Wenn wir wollen, dass alle Menschen vom Fortschritt und den Chancen profitieren, die die digitale Gesellschaft bietet, müssen wir auch alle Menschen in die neue Zeit mitnehmen. Und das gelingt am besten in einer Kultur der Transparenz und des Vertrauens, in der so etwas wie Aufbruchstimmung möglich wird. Um eine solche Kultur zu schaffen, genügt es nicht, Ängste abzubauen. Vielmehr muss es gelingen Offenheit, Neugierde und wenn möglich sogar Begeisterung für neue Technologien zu wecken. Und das funktioniert wahrscheinlich am besten, wenn wir weniger darüber diskutieren, welche Jobs uns intelligente Maschinen wegnehmen könnten, sondern mehr darüber, was sie uns geben und was wir gemeinsam erreichen können. Das wäre auch ganz im Sinne von Alan Turing. Der britische KI-Pionier hat schon 1950 gefordert: We should not ask, can machines think, but rather what can machines do? Diesen Ansatz würde ich gerne ein wenig erweitern und fragen: „What can we do together with machines?“
Dieser Artikel erschien erstmalig im Handelsblatt vom 05.07.2018.
Sabine Bendiek, Microsoft Deutschland

Sabine Bendiek ist seit Januar 2016 Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. Sie berichtet an Michel Van der Bel, Corporate Vice President Microsoft EMEA. Bendiek ist Absolventin des Studiengangs Managementwissenschaften am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (MSc). Zudem studierte sie Betriebswirtschaft an der Universität Mannheim mit Abschluss als Diplom-Betriebswirtin. Bevor Sabine Bendiek zu Microsoft kam verantwortete sie als Geschäftsführerin und Vice President die Geschäftsaktivitäten von EMC in Deutschland. Zuvor verantwortete sie bei Dell das Small and Medium Business in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Frühere Stationen ihrer Karriere waren McKinsey, Booz Allen und Siemens Nixdorf Information Systems. Sie engagiert sich darüber hinaus als Mitglied im Hauptvorstand des Branchenfachverbands BITKOM, im Board of Directors der American Chamber of Commerce und in der Atlantik-Brücke.

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